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BEITRAG VON PROF. STRIPPOLI

Bis vor einigen Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich mich eines Tages zu dem aufregenden Unterfangen der Forschung über die Trisomie 21 verleiten lassen könnte und dabei so viele Weggefährten finden würde, die sich dafür interessieren.

Personen mit Down-Syndrom zeigen vor allem geistige Behinderung, währenddessen die affektiven und sozialen Fähigkeiten gänzlich erhalten sind. Auffallend ist, dass Down-Kindern in ihrer Umgebung überdurchschnittliches Wohlwollen entgegengebracht wird.

1959 erkannte der große Genforscher Jérôme Lejeune (1926-1994) die Ursache des Down-Syndroms: statt der üblichen zwei Chromosomen 21 in den menschlichen Zellen, liegt ein weiteres, drittes Chromosom vor. Diese Trisomie 21 ist bei den Menschen die meist verbreitete genetische Anomalie.

Auf diese neue Erkenntnis hin entstand die moderne medizinische Genetik, und zum ersten Mal wurde ein klinisches Symptom mit einer Veränderung der genetischen Substanz in Zusammenhang gebracht. Diese Mutation erfolgt spontan, sie ist nicht vorhersehbar und kommt mit konstanter Regelmäßigkeit bei allen Völkern der Erde vor.

Dank dieser Erkenntnis konnte 1959 auch die bis dahin übliche „moralisch“ negativ konnotierte Benennung des Syndroms als „Mongolismus“ endgültig aus dem Sprachgebrauch und der Medizin verbannt werden.

Es wurde auch möglich den „Mechanismus“ des Syndroms in allen Einzelheiten zu erforschen und dadurch zu verstehen, auf welche Weise das zusätzliche Chromosom 21 die Symptome bestimmt.

Die zufällige Begegnung mit Professor Lejeunes Werdegang und wissenschaftlicher Lehre hat uns veranlasst, eine systematische Untersuchung des Down-Syndroms anzugehen, mit der Absicht, klinische mit experimentellen Daten zu verbinden.

Dieses Projekt stellt unseres Wissens die umfassendste klinische Forschungsarbeit über das Down-Syndrom dar, die bisher in Italien durchgeführt wurde und bestrebt ist, jene geistige Behinderung zu behandeln, die von dem dritten Chromosom 21 verursacht wird.

Unser Ziel ist es Menschen mit Trisomie 21 zu ermöglichen das große Potenzial ihrer Ausdrucksfähigkeit voll zu nützen, welches vom überschüssigen Chromosom „blockiert“ wird.

Dieses Projekt löste zahlreiche unerwartete Auswirkungen aus, insbesondere eine starke Kooperation zwischen Forschern und Kliniken. An dieser Stelle sei die über 35jährige Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit Trisomie 21 durch Prof. Guido Cocchi an der Poliklinik Sant’Orsola-Malpighi hervorgehoben, welche heute dank Frau Dr. Chiara Locatelli fortgesetzt wird.

Die experimentelle Forschung betreffend hat sich eine Gruppe von vorwiegend jungen Forscherinnen gebildet, die mit großer Kompetenz und Hingabe auf diesem Gebiet arbeiten. So war es uns möglich, zwei Intuitionen von Prof. Lejeune weiter zu entwickeln.

An erster Stelle wollten wir durch die Untersuchung der partiellen Trisomie 21 feststellen, ob sich unter den Genen der Chromosomen tatsächlich „viele unschuldige und wenig schuldige“ befinden. Dabei haben wir beobachtet, dass in der Tat der „kritische Bereich“, der eng an die Diagnose des Down-Syndroms gebunden ist, nicht ein Tausendstel des gesamten menschlichen Chromosoms 21 erreicht.

Ausgehend von der Annahme, dass die geistige Behinderung durch eine Störung des Metabolismus verursacht wird, haben wir außerdem bewiesen, dass im Plasma der Kinder mit Down-Syndrom spezifische metabolische Veränderungen erfolgen.

Damit erschließt sich die Möglichkeit die Gene im „kritischen Bereich“ des Chromosoms, welche es noch zu identifizieren gilt, mit den Veränderungen des Metabolismus, welche diese DNA-Sequenz bewirkt, in Verbindung zu bringen. Sollte es gelingen einen Zusammenhang mit der kognitiven Ebene festzustellen, bestünde eine vernünftige Möglichkeit das funktionelle Gleichgewicht wiederherzustellen.

In den vielen italienischen und ausländischen Städten, in welchen ich die Ehre hatte es vorzustellen, hat das Projekt großes Interesse erweckt und zahlreiche Unterstützungsinitiativen zugunsten der Fortführung der Untersuchung veranlasst.

Wir können niemals all den Personen dankbar genug sein, die zur Weiterentwicklung unserer Forschung beigetragen haben, besonders in Zeiten, in denen öffentliche Finanzierungen schwer zugänglich sind.

Zu diesen Initiativen zählt die Veröffentlichung des vorliegenden Buches, wofür wir der Bozner Vereinigung „Il sorriso – Das Lächeln“ von Herzen danken.

Besonders ergriffen hat mich die Wahl des Themas: die elterliche Fürsorge. Es ist beeindruckend zu beobachten, wie mächtig bei den Tieren der natürliche Trieb ist, mit jedem Mittel für ihre Jungen zu sorgen, sie großzuziehen und dadurch ihre Tierart zu erhalten. Bei dem Menschen kommt zu dieser Kraft das tiefste Bedürfnis hinzu, dass es den Kindern wohlergeht und sie glücklich sind.

Die große Hoffnung ist, dass unsere Forschung im Dienste dieses Wunsches um das Wohlergehen des Kindes steht.

Bologna, 7. Dezember 2020

Dr. Strippoli ist Dozent für angewandte Biologie an der Universität Bologna, lehrt dort Genetik und leitet das Labor für Genomik der Fachabteilung für Diagnostik und experimentelle Medizin (DIMES) .Bei seiner Forschungsarbeit über Blutkrankheiten, Dickdarm- und Enddarmkrebs und insbesondere über Trisomie 21 hat er Techniken der Molekulargenetik und der Genomik angewandt.Für die Analyse der menschlichen Genome hat er innovative Mittel der rechnerischen Biologie entwickelt und umgesetzt, worüber er 60 Artikel in internationalen wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht hat.